Freitag, 4. Juli 2008

Krieg und Friedman

Manchmal, wenn ich zu später Stunde durch die hinteren Kanäle zappe, abwechselnd aufgefordert, unglaublich hässliche , aber angeblich auch unschätzbar wertvolle Ringkollektionen für 39 Euro oder obszöne Klingeltöne im Jamba-Sparabo zu erstehen, bleibe ich an einer Sendung auf N24 hängen.
Sie fällt stets dadurch auf, dass sich ein vermeintlicher Talkgast gerade ausgesprochen lautstark und aggressiv über einen anderen Gesprächsteilnehmer herfällt. Nach genauerer Betrachtung stellt sich heraus: der Talkgast ist gar kein Talkgast sondern Michel Friedman, Moderator, und es geht die ganze Zeit so weiter. Nach bester Hollywood-Kreuzverhörmanier wird von Anwalt Friedman ständig ins Wort gefallen, Fragen locker fünffach wiederholt und der gestrige Gast Roger Kusch wiederholt als Todesengel bezeichnet.

Und es ist toll. Studio Friedman ist glaubwürdiger als als Frank Plasbergs immergleiche "Wir hätten da mal eine Frage, Herr Soundso, weil wir sind nämlich so wahnsinnig kritisch."-Show und kommt vermutlich eher zum Punkt als die ganzen anderen öffentlich-rechtlichen Talkshows, die ich gar nicht mehr angucke. Weil mich ehrlich gesagt nicht interessiert, was irgend ein Tatortkommissar von dem Thema hält und Generalsekretäre, die ihr Parteiprogramm gern auch nochmal vortragen auch nicht so spannend sind.

In der Sache ging es gestern um den Fall der 79-jährigen Bettina Schardt, die von Roger Kusch Sterbehilfe erhalten hat, von ihm bei ihrem Selbstmord gefilmt worden war und um die Frage, ob und wenn unter welchen Umständen die Beihilfe Kuschs legitimierbar sei.

Als Roger Kusch zu diesem höchstsensiblen und für ihn sehr persönlichen Thema gerade zum streitlustigen Friedman eingeladen wurde, muss ihm als Jurist und Politiker (Kusch war Justizsenator in Hamburg) bewusst gewesen sein, auf was er sich einließ. Und um sein Handeln ihn ohnehin schon eine hitzige Debatte ausgelöst hat, so dass er gestern Abend sicher nicht unvorbereitet vor die Kameras trat. Sicherlich hatte er seine Argumente perfekt parat.

Und nichts weniger hätte gestern genügt, um nicht komplett in Friedmans unermüdlich anbrandenden Wogen aus Rhetorik und Polemik unterzugehen und es genügte nicht, um Kusch davor zu bewahren, dann und wann ziemlich kleinlaut dazustehen. Wobei man nicht genau zu sagen vermag, ob das einer überlegenen Argumentation seitens Friedmans zuzurechnen ist oder einfach der größeren Cleverness beim Überspielen eigener Unstimmigkeiten. So oder so schien Kusch regelrecht verlegen, als er auf die, Frage, wie oft er die alte Dame zu Gesprächen getroffen habe, ungewohnt leise "vier mal" antwortete.

Hier zwei weitere Treffer Friedmans, die mir besonders gut gefallen haben, aus dem dem Gedächtnisprotokoll:

Friedman: "Jeder hat mal einen schweren Lebensabschnitt, und später kann er sich nicht mehr daran erinnern, über Selbstmord nachgedacht zu haben. Wenn man ihnen im falschen Moment begegnet, hat man also echt die Arschkarte gezogen."


Friedman: "Sie wollen also Geld für Sterbehilfe verlangen?"

Kusch: Nein, Sie sind auch Anwalt, sie müssten auch wissen, dass es für Anwälte Gebührenverordnungen gibt. Ich verlange Gebühren für Rechtsbeistand.

Friedman: Rechtsbeistand wofür? Wie man rechtsfrei tot sein kann?


Über das Thema selbst kann man zweifelsohne geteilter Meinung sein und auch derartige Streitgespräche werden keine endgültige Klarheit über den moralischen Wert von Sterbehilfe schaffen können. Aber es wurde offen und parteiisch darüber diskutiert und der Zuschauer hatte den Eindruck, dass hier zwei Menschen eine eigene Position vertreten, Kusch vielleicht ein wenig aus Profilierungstrieb, Friedman vielleicht ein bisschen mit anwalttypischer professioneller Überzeugung exklusiv für die eigene Seite.
Vor der Kamera befanden sich zwei Menschen, und während den 30 Minuten Sendezeit konnte niemand um den heissen Brei reden, bis der Moderator es satt hat nachzufragen und einen anderen Gast aufruft, es gab kein Entrinnen, wie in einer römischen Arena.
Kein Wunder, dass die so populär waren. Das Prinzip funktioniert immer noch hervorragend.

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